Ich und der Tag der russischen Sprache
Ja, ich weiß, in dieser russophoben Zeit ist das ein gefährliches Thema, glattes Eis. Aber auch bildungsfernen Politikern in höchsten Ämtern sei gesagt, es geht nur um eine Sprache. Am 6. Juni wird nun einmal international, so hat es die UNESCO beschlossen, der Tag der russischen Sprache gefeiert. Immerhin sprechen 250 Millionen Menschen russisch und damit ist diese slawische Sprache eine der am meisten verbreiteten Sprachen in Europe. Der День русского языка – engl. Russian Language Day ist mit einem ganz bestimmten Datum verbunden, dem Geburtstag des Nationaldichters, Genies und Begründers einer modernen russischen Literatur Alexander Sergejewitsch Puschkin (1799 – 1837), dessen Werke zum Weltkulturerbe wurden.
Tuschezeichnung Hartmut Moreike
Aus vielerlei
Gründen sind meine Spezialgebiete als Kunstschriftsteller die vielfältigen und
fruchtbaren deutsch-russischen Beziehungen seit Peter I. und Katharina II., die
russische Kunst und Kultur bis zum 20. Jahrhundert und die Lebensweise der
vielen Völker in dem größten Land der Welt, das ich von der Tundra im Norden
bis zur Wüste Gobi, vom Bug bis zum Amur bereist und deren Menschen ich
kennengelernt dabei habe. Das alles hat sich in über 20 Büchern
niedergeschlagen, die international vertrieben werden und von denen einige
international Anerkennung erfahren haben.
Ohne Puschkin, geht da überhaupt nichts, denn sein Einfluss auch auf das heutige Russland, auf seine Sprache, seine Dramatik und Literatur, vor allem die Poesie ist nicht zu überschätzen. Während der normale Russe im Alltag so um die 8.000 Wörter gebraucht, waren es bei Puschkin 24.000. Vor fünf Jahren hatte ich ein Bändchen geschrieben „Puschkins Wiedergeburt“ und recherchiere gerade für einen Band über seine Witwe Natalia Puschkina, geborene Gontscharowa.
Der Dichter ist unvergessen, weder in Russland noch in Europa und Übersee, und Puschkin hatte es vorausgesehen: "...lang wird liebend mich das Volk im Herzen tragen,/ Weil ich mit meinem Lied erweckt, was lange schlief,/ Weil ich die Freiheit pries in mitleidlosen Tagen/ Und für die Schuld um Gnade rief“. Seine Bücher sind in über hundert Sprachen übersetzt, vor allem seine Liebeslyrik, seine Märchen lesen Kinder auf allen Kontinenten.
Cover "Puschkins Wiedergeburt (2018)
Eine Stadt nahe St. Petersburg trägt seinen Namen, an seinem Geburtstag deklamieren junge Leute an den Puschkin-Denkmälern seine Verse, legen Blumen nieder, es gibt Lyrikwettbewerbe und auch in Bonn feiert den Tag die deutsche Puschkin-Gesellschaft. Dennoch in Deutschland haben Kulturbanausen nach der Wiedervereinigung aus politischen Gründen und Dummheit Puschkin-Bibliotheken, Puschkin-Plätze und -Straßen umbenannt. Diese Unkenntnis vor allem im Westen, das Missverhältnis zwischen Puschkins internationale Bedeutung und dem öffentlichen Interesse an ihm ist nach wie vor bedrückend. Von Goethe stammt ein freimütiges Zeugnis seiner Bewunderung für den 50 Jahre jüngeren Russen, dem er, wie unser Dichterfürst bedauerte, leider nie begegnete. Im Juli 1826 sandte er ihm eine seiner Schreibfedern mit Lobversen, deren Wortwahl indirekt auf charakteristische Eigenschaften Puschkins anspielt: Kühnheit, Frohsinn im Lieben und Freiheitlichkeit im Schreiben “Was ich mich auch sonst erkühnt/Jeder würde froh mich lieben,/ Hätt ich treu und frei geschrieben/ All das Lob, das du verdient."
Ich habe das Russische gelernt, weil meine Sprache nicht das Ende meiner geistigen Welt sein sollte und deshalb habe ich auch in Moskau an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften studiert. Dass das nicht einfach war, werden alle bestätigen, die Russisch lernen, denn 80 Prozent der Wörter haben eine mehrfache Bedeutung und allein die Betonung gibt ein und dem selben Wort einen gänzlich anderen Sinn. Auf all meinen Reisen durch dieses unermessliche Land öffnete mir mein Russisch, so sehr mich auch mein Akzent und meine Fehler als Ausländer verrieten, meine Augen und die Türen und Herzen der Russen, Jakuten, Ewenken, Kaukasier, Ukrainer, Mordwiner, Tataren und Balten. Denn in Russland leben 190 Völker, die 270 Sprachen und Dialekte sprechen und viele genau russisch so gut oder schlecht wie ich. Und wer seine Sprache nicht liebt, sagte der von mir verehrte Schriftsteller Paustowski, kann auch sein Land nicht lieben.
Illustrationen Autor, Archiv
P.S. Nur sechs Tage der Sprache stehen bei der UNESCO im Kalender:
- 21. März: Tag der französischen Sprache (franz. Journée de la langue française)
- April: Tag der chinesischen Sprache (chin. 联合国中文日)
- April: Tag der englischen Sprache (engl. English Language Day)
- April: Tag der spanischen Sprache (span. Día de la lengua española)
- 6. Juni: Tag der russischen Sprache (russ. День русского языка)
- Dezember: Tag der arabischen Sprache (arab. اليوم العالمي للغة العربية)