Bei meinen Recherchen für ein neues Buch ist mir die Kopie eines Bildes des russischen Malers Wassili Wereschtschagin in die Hände gefallen. Es hatte mich schon vor vielen Jahren in der Tretjakow-Galerie in Moskau beeindruckt, in der ich oft für meine Romanbiografie über den realistischen Maler Ilja Repin und die Vorgänge am Zarenhof weilte und nicht nur die wichtigsten Bilder, sondern auch viele Aufseher in den Sälen kannte. Wereschtschagin war eigentlich, wie damals vielfach üblich, ein Genremaler.
Wassili W. Wereschtschagin
Und sein Spezialgebiet waren Schlachten, an denen er selbst, oft in sicherer Entfernung von den Kämpfen, teilgenommen hatte. So auch im Russisch-Japanischen Krieg, als die unbesiegbare Zarenflotte vor Tsushima vernichtet wurde. Der Maler war auf dem Linienschiff "Petropawlowsk", dem Stolz der kaiserlichen Marine, als das Kriegsschiff auf eine Mine lief und innerhalb von zwei Minuten sank. Nur 80 Matrosen der 632köpfigen Besatzung konnten gerettet werden, unter ihnen zwar der Cousin des Zaren, doch Wereschtschagin versank mit dem Schiff in den Fluten. Der Maler erlitt das Schicksal, das er in seinen Bildern angeprangert hatte, die Sinnlosigkeit von Kriegen, die Verwüstung und Tod brachten.
Apotheose des Krieges
Die persönlichen Erlebnisse prägten ihn tief. Als Folge widmete sich der Maler der schonungslosen Darstellung von Kriegsgräuel in seinen Gemälden. Sein wohl eindrucksvollstes Werk war "Apotheose des Krieges", also "Vergötterung" des Krieges, das er 1871 bis 1872 malte.
Das war kein Bild von Schlachten und Siegen, sondern ein Mahnruf eines großen Künstlers gegen den Krieg. Der russische Maler meinte mit seinem berühmten Gemälde, das auch mit „Verherrlichung“ oder „Erhebung“ gleichgesetzt werden kann, genau das Gegenteil. Diese verfluchte „Selbstverständlichkeit“ mit welcher jeder Krieg tötet und Leid aufhäuft, so wie für dieses ungezählte Leid platzierten und aufgehäuften Totenschädel in einer verwüsteten Landschaft.
Das Gemälde bezieht sich auf die Kriegsführung von Tamerlan, eines besonders brutalen mongolischen Chan. Tamerlan, der auch als Timur bekannt ist, hatte den Ruf eines skrupellosen Eroberers, der die Bevölkerung in den unterworfenen Gebieten und Städten zu Hunderttausenden ermorden ließ. So im Sultanat Delhi und im Königreich Georgien, in Aserbaidshan und in Afghanistan. Seinem mörderischen Weg säumten Schädeltürme. Bei der Eroberung von Isfahan 1387 laut Aufzeichnungen von Hafiz-i Abru wurden 28 Schädeltürme gezählt, so dass die Chronik von 70.000 Toten ausgeht.
Die Raben hüten diesen Schädelberg wie einen Schatz der sich hoch auftürmt. Der Schatz des Krieges, seine Trophäe. Und ewig frisst der Krieg Menschen, Männer, Frauen und Kinder, unersättlich bis in die heutige Zeit. Als Maler von Kriegsereignissen war ihm keines der grausamen Bilder fremd, welche der Krieg bringt. So auch auch seine Widmung: „...allen großen Eroberern: den vergangenen, den gegenwärtigen und den zukünftigen“. Der Maler Maler Wassili Wereschtschagin, Mahner gegen Krieg, wurde selbst am Ende zum Opfer eines Krieges.
Das Bild inspirierte den isländischen Künstler Erró über hundert Jahre später für sein Gemälde "Good bye Vietnam", auf dem er US-Präsident Nixon entlarvt. Nun verstaubt Wereschtschagins Bild nicht in den Magazinen der Staatlichen Tretjakow-Galerie, sondern berührt heute immer noch die Menschen, die davor stehen und anfangen nachzudenken über der Irrsinn bar jeder Vernunft. UN-Generalsekretär Guterres warnte 2022: „Die Menschheit ist nur ein Missverständnis, eine Fehlkalkulation von ihrer nuklearen Auslöschung entfernt.“Und sicher hat das Gemälde auch den unbekannten Künstler berührt, der 2008 eine Collage ins Netz stellte und dabei Wereschtschagin Gemälde in den Mittelpunkt platzierte.. Nun könnten meine Kritiker wieder sagen, was hat denn das mit "Moreikes Ahrensfelde" zu tun. Das hat alles mit Moreike persönlich zu tun, der noch den Krieg und seine Nachwehen erlebte und auch mit Ahrensfelde. Und auch mit uns allen, so lange die Medien Krieg gegen die Wahrheit führen, sie ist das erste Opfer des Krieges.
Collage eines Unbekannten
Und die Unwahrheit, die angebliche Notwendigkeit für Waffenlieferungen, die unseren Rüstungsschmieden satte Gewinne machen, das Märchen von den Guten und den Bösen im Krieg, von europäischen Werten, die verteidigt oder anderen Völkern auch mit Waffen beigebracht werden müssen, das alles steckt jeden Morgen als Zeitung in unseren Briefkästen, flimmert über die Bildschirme der von uns bezahlten TV-Sender. Jeder Ahrensfelder spürt die Auswirkungen des Krieges an den Strom- und Lebensmittelpreisen. Kriege in unserer Zeit sind keine lokalen Angelegenheiten, wie Saint-Exupéry schrieb: "Kriege, was immer auch ihr Ziel ist, schaden der ganzen Menschheit; sie schaden auch den Völkern, die Sieger bleiben..."