In der Staatsoper abgesetzt, in Dessau ein Triumph

Es geht um Tschaikowskis letztes und wohl der Welt populärstes Ballett "Der Nussknacker". Aber vorab, was ich damit zu tun habe. Ja, ich bin ein Ballettomane, wenn auch der Duden das Wort nicht verzeichnet. Aber ich habe es mir ausgedacht und jeder versteht, dass es einen Liebhaber für Ballettaufführungen treffend beschreibt. Ich habe Tschaikowskis Ballettmusik mit interessanten Choreografien schon in Nowosibirsk, in Perm, in St. Petersburg, in Moskau selbstverständlich und auch in Berlin erlebt. Jetzt auch das zweite Mal in Dessau. Dessau ist nur gut zwei Zugstunden von Ahrensfelde entfernt. An einigen Wochenende im Jahr besuche ich die Bauhausstadt, um ein erlebnisreiches Kulturwochenende dort zu verbringen. Gut, das könnte ich in Berlin auch, aber nicht so entspannt und vor allem so preiswert. Und deshalb schreibe ich es überhaupt, sozusagen als Tipp. Böse Zungen sagen, bei uns in Ahrensfelde gibt es Theater genug.

Das Anhaltinische Landestheater der Stadt, einst ein Renommierbau des NS-Regimes und eine Bühne für die Werktätigen der Junkers-Flugzeugwerke, ist heute vielleicht etwas zu groß für Dessau. Aber es hat ideenreiche Bühnenbildner, einen fantastischen Chor, ein philharmonisches Orchester und ist ein Dreispartentheater, das viele junge und begabte Mimen auch aus dem Ausland anzieht. 

Nun war ich wieder dort und neben Shakespeares "Was ihr wollt" gab es am nächsten Tag den "Nussknacker", ein Ballett, das in der Weihnachtszeit in keinem Bühnenprogramm fehlen darf. In der Staatsoper Berlin abgesetzt, nicht, wie mir die Chefchoreografin mitteilte, weil Tschaikowski doch ein Russe war, sondern es politisch nicht zeitgemäß und politisch korrekt wäre, Mohren auftreten oder Tänzer als Mohren schminken zu lassen, wie es die klassische Inszenierung von Iwanow/Petipa, die am 18. Dezember 1892 im Marinski-Theater in St. Petersburg Premiere hatte, vorgab. 

Szene aus der ersten Inszenierung, Solisten des Kaiserlichen Ballett Olga Preobraschenskaja und Nikolai Legal.
90 Jahre später habe ich dieses, wohl populärste Ballett in der Originalchoreografie im Premierentheater in Leningrad gesehen und war gespannt, was Stefano Giannetti mit seinem Märchenballett daraus in Dessau gemacht hat. Schließlich hatte ich die Kritik in der Magdeburger "Volksstimme" gelesen, wo stand: "Triumph auf der ganzen Linie...Der Dessauer Nussknacker - ein Gesamtkunstwerk, auf das alle Beteiligten stolz sein dürfen." Und wirklich, ein modernes Märchen in dem sich das Mädchen Klara mit dem Geschenk des Nussknackers in die Welt der Fantasie träumt. Stefano Giannetti erzählt die winterliche Traumgeschichte mit dem Blick von heute auf eine romantische Welt des 19. Jahrhunderts, die so lebendig ist, als wäre das alles gerade erst gestern geschehen. 

Moderne Alltagskostüme, eine Reise um die Welt mit Tänzen aus vielen Gegenden und Klaras erwachende Liebe zu einem jungen Obdachlosen, haben wenig mit dem ersten Libretto von Alexandre Dumas zu tun, sind aber ebenso romantisch und sehenswert, was das kleine Ensemble aus zumeist italienischen und spanischen Solisten auf die Bühne zauberte.

Warum schreibe ich das? Weil es sicher vielen Ahrensfeldern wie mir geht, die sich Karten in der Deutschen Oper oder der Staatsoper nicht leisten können und keine Lust haben, auf der Ballettbühne Nackte tanzen zu sehen, die sich mit Blut beschmieren und Kot bewerfen. 

Mit der Zugfahrt, der Übernachtung im Hotel und dem Theaterbillett zahle ich weniger, als für eine einzige Theaterkarte in Berlins renommierten Häusern allein. In Dessau: Bestplatz im Parkett 6. Reihe Mitte als Senior nur, je nach Schauspiel, Oper, Ballett oder Operette 20 bis maximal 36 Euro. Und das musste ich einfach einmal als sogenannten Geheimtipp Ihnen, liebe Leser, mitteilen, sachlich, kritisch und optimistisch wie immer.

Fotos: Autor, Archiv, Anhaltinisches Theater Dessau


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