Ab und an nehme ich wieder ein schon vor Jahren gelesenes Buch zur Hand und entdecke mit Erstaunen, dass es immer neue Gedanken hervorruft und Zusammenhänge öffnet. Und was in diesem Fall so erschütternd ist, wie wenig wir Menschen aus Büchern, selbst wenn sie zur Weltliteratur gehören, lernen. Ich spreche in diesem Fall von dem wohl bedeutendsten Anklage-Werk der Literatur gegen Kriege, dem Buch "Krieg und Frieden" von Lew Tolstoi. Die literarische Welt spricht von einer Epochechronik und Somerset Maugham bezeichnete das Epos als "den größten aller Romane".
Szene aus dem Film "Krieg und Frieden" 1966 - Das Oskar gekrönte Filmepos unter der Regie von Sergej Bondartschuk begeisterte Zuschauer und 117 Ländern.
Und obwohl "Krieg und Frieden" ein historisches Werk ist, seine Aussage über Kriege ist aktuell wie vor 125 Jahren. Und vielleicht deshalb werden Tolstois Bücher in der Ukraine in diesen Tagen verbrannt, eingestampft oder gegen die Memoiren des Faschisten Bandera getauscht. Auch unsere Kriegstrompeten, obwohl schon vom Bazillus Russophobus befallen, die uns gegen Russland kriegstüchtig machen wollen, empfehle ich dieses Buch. Gerade heute, am Tag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus durch die Rote Armee der Sowjetunion. Aus "Krieg und Frieden" habe ich dieses Zitat seiner Gedanken gegen Gewalt und Krieg gewählt:
„Was ist der Krieg? Was braucht es zum Erfolg bei
militärischen Aktionen? Was sind im Militärstand die Sitten?
Das Ziel des Krieges ist der Mord, das Handwerkzeug des Krieges: Spionage,
Verrat und Anstiftung dazu, Ruin der Einwohner …, Lüge und Betrug, was man
Kriegslist nennt. Die Sitten des Militärstandes aber sind: völliger Mangel an
Freiheit, was man als Disziplin bezeichnet, Müßiggang, Roheit, Grausamkeit …
Und trotz alledem ist dies der höchste Stand, der von allen geachtet wird …,
und dem, der die meisten Menschen totgeschlagen hat, werden die größten
Auszeichnungen zuteil …
Völker stoßen zusammen …, um einander zu morden. Sie schlagen sich tot, machen
Tausende von Menschen zu Krüppeln, und dann werden Dankgottesdienste abgehalten
dafür, dass so viele Menschen erschlagen worden sind, deren Zahl man gerne noch
übertreibt …, und man denkt, je mehr Leute man totgeschlagen habe, um so größer
sei das Verdienst.
Wie kann nur Gott von dort oben dies alles mit ansehen und mit anhören?"
Lew Nikolajewitsch Tolstoi - Gemälde von Ilja Repin 1887 - Im Besitz der Staatlichen Tretjakow-Galerie Moskau
Eindrucksvoller sind Krieg und seine Folgen nicht zu beschreiben und dabei war die Invasion Napoleons in Russland nur eine Overtüre zu dem Verbrechen und Völkermord, was Deutsche 130 Jahre später in Russland anrichteten. Ein totes, zerstörtes Land in Tränen. Nach neuen wissenschaftlichen Schätzungen 37 Millionen Tote, darunter 3 Millionen Juden, 209 total zerstörte Städte und 9.200 dem Erdboden gleich gemachte Dörfer. Was die Nazis den Völkern der Sowjetunion antaten, dafür gibt es kein Wort, kann es ebenso wie für den Holocaust nicht geben.
Tolstoi war zweimal für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen. Er hat ihn nicht bekommen, wie seine Kollegen weltweit bedauerten. 1901 ging die Auszeichnung an den heute völlig unbekannten Franzosen Sully Prudhomme. Im Folgejahr unterlag Tolstoi dem Deutschen Theodor Mommsen. Zu exzentrisch, zu anarchistisch fand die Jury den Russen. Manche glauben, es lag schlicht daran, dass Schweden nicht das beste Verhältnis zum Riesen im Osten hatten und ihnen die Niederlage im Nordischen Krieg durch Peter I. nicht verzeihen könnten.
Haben unsere Politiker nichts aus der Geschichte gelernt, dass sie uns wieder kriegstüchtig machen wollen. Die Standortbeschreibung im Koalitionsvertrag spricht Bände. Da wird der Feind als Alibi für eine Hochrüstung an die Wand gemalt und der kann für Deutschland wie in ewigen Zeiten nur der Russe sein. "Im Äußeren greifen die Gegner
unserer liberalen Demokratie unsere Freiheit an. Autoritäre Mächte erstarken.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine bedroht auch unsere Sicherheit."
Das ist
eine Offenbarung, welche Art Politiker nun zur Macht gekommen sind. Denn weder greifen äußere „Gegner unserer
liberalen Demokratie unsere Freiheit an“, noch bedroht der „russische
Angriffskrieg gegen die Ukraine“ unsere Sicherheit." Die einzigen,
die unsere Demokratie gefährden, sind die Politiker von SPD, CSU und CDU.
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Am
15. März 1991 trat der Zwei-plus-Vier-Vertrag in Kraft. Darin wurde
erklärt, „dass von deutschem Boden nur
Frieden ausgehen wird. Nach der Verfassung des vereinten Deutschland sind
Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das
friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines
Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und strafbar“. Das sagt auch der Artikel 26 des Grundgesetzes. Sind also die Reden von Strack-Zimmermann, Pistorius, Kiesewetter, Wadephul und Hofreiter ein Fall für den Verfassungsschutz und den Generalbundesanwalt? Es wird Auschwitz gedacht, aber nicht der Befreier und ihrer Opfer, nicht dem Kriegsverbrechen an Leningrads Bewohnern, eine Befreiung vom Faschismus ohne Befreier. Ein bitteres Zeugnis über das geistige Klima in unserem Land.
In meiner dreibändigen Romanbiografie über den russischen realistischen Maler Ilja Repin und die Vorgänge am Zarenhof habe ich die recht interessanten Begegnungen der zwei noch heute verehrten Russen, des genialen Schriftstellers mit dem europaweit gefeierten Maler, der neben anderen auch dieses Porträt von Tolstoi, dem adligen Gutsherren höchstpersönlich beim Pflügen schuf, nach den Dokumenten von Zeitzeugen beschrieben. Ja, Tolstoi hat seine Stiefel selbst geflickt und so oft er des Schreibens müde war, auch seine Felder selbst bestellt. Er lebte nach dem Grundsatz „Ein Merkmal für die Entartung unserer Welt ist, dass sich die Menschen ihres Reichtums nicht schämen, sondern rühmen.“
In dem sibirischen Wissenschaftsstädtchen Akademgorodok habe ich den Kernforscher Gersch Budker kennengelernt. Obwohl er als glänzender Absolvent der Atomphysik vom Waffendienst freigestellt, meldete er sich 1941 freiwillig zur Armee als einfacher Soldat. Zu Fuß als Infanterist kämpfte er sich bis nach Berlin und kam erst auf dem Stufen des Reichstages als Oberst zur Ruhe, ein Befreier.
Prof. Gersch Budker, Atomphysiker, weltberühmt wurde er durch bahnbrechende Entdeckungen in der Kernfusion. Ihm und seiner Forschung habe ich einige Seiten in meinem Buch "Sibirischer Sommer" gewidmet
Er sagte zu mir: " Ich als Kernphysiker trete dafür ein, dass das Atom nie den Generalen überlassen wird, sondern nur der friedlichen Anwendung dient, etwa den Ärzten, den Ingenieuren als unerschöpfliche Energiequelle der Zukunft. Lieber deutscher junger Freund, versprechen wir uns, du in Deutschland und ich hier, dass wir alles dafür tun, dass zwischen unseren Völkern nie wieder Krieg, sondern nur noch Eintracht und Frieden herrscht." Diesem Versprechen bleibe ich treu.
Meine Gedanken zu diesem 8. Mai 1945 sind diktiert von meinem Emotionen und den Erlebnissen als Kind des Krieges und des Nachkrieges, ja, diesmal weniger sachlich, ja kritisch aber optimistisch wie immer.
Fotos: Autor, Archiv Hartmut Moreike, Archiv Mosfilm