Der 6. Juni, Welttag der russischen Sprache - aber doch nicht bei uns
Das Erlernen einer zweiten Sprache hat zahlreiche Vorteile, beispielsweise die Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten, die Vervollkommnung der Kommunikationsfähigkeiten, die Erweiterung der Karrierechancen, die Erleichterung von Reisen und kulturellem Austausch und sogar die Verzögerung des Beginns des altersbedingten geistigen Abbaus. Ich habe die Erfahrung gemacht, überall wohin ich auch kam, waren die Menschen aufgeschlossener, wenn ich versuchte, mit ihnen in ihrer Muttersprache zu sprechen. So lerne ich in Spanien, Tschechien und Italien immer einige Brocken, um wenigstens das Essen und Getränke zu bestellen und mich noch artig für das Essen zu bedanken. In der Ukraine und der Mongolei kam ich mit dem Russischen bestens aus und und in den Weiten Russland sowieso.
Wie Sprache auch über Grenzen und Zeiten, ja einstige Feindschaften verbindet, erlebte ich in einem Dorf bei Nikopol, das von den Deutschen völlig niedergebrannt worden war und in dem fast alle Bewohner ermordet wurden.
Wehrmachts-"Taktik der verbrannten Erde" - 5.250Dörfer wurden allein in der Sowjetunion oft mit den Einwohnern niedergebrannt - und das war kein Kriegsverbrechen?Dort suchte ich eine Frau, die als Ostarbeiterin bis 1945 Zwangsarbeit im Edelstahlwerk Freital leisten musste. Sie gehörte zu den 2,4 Millionen Arbeitssklaven aus der Ukrainischen Sowjetrepublik in Nazi-Deutschland. Vergeben und vergessen? Ich fragte eine alte Frau nach der Familie. Sie bemerkte meinen Akzent und fragte, woher ich käme, aus dem Baltikum? Ich brachte es angesichts der Verbrechen der deutschen Wehrmacht hier nicht übers Herz zu lügen und gestand: "Aus Deutschland." Und diese Babuschka in einem gottverlassenen Dorf zitierte mit zitternder Stimme und deutsch Heines Wintermärchen: "Denk' ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht...." Ich bekam eine Gänsehaut. Sie hat uns vergeben, sie war ohne Hass. Das waren also nach Nazilesart Untermenschen, das sind nach Wadephul wieder und künftig unsere Feinde?

Ich konnte mich mit Saisan, einem Taigajäger und Schamanen, mit dem ich in den unendlichen Wäldern am Baikalsee unterwegs war, ebenso gut verständigen wie mit dem weltbekannten Kernforscher Budker. Und die Sprache half mir, den Soldaten und Offizieren der Berliner Garnison der zeitweilig in der DDR stationierten Streitkräfte der UdSSR, die zumeist aus der Ukraine stammten, bei dem Anlegen vieler Grünanlagen und Parks in Marzahn einzuweisen. Na und schließlich ist meine Sprachkenntnis des Russischen das A und O für meine Arbeit als Schriftsteller mit dem Spezialgebiet der russischen Kunst, Kultur, Lebensweise und der deutsch-russischen Beziehungen in 300 Jahren Zarenherrschaft. Da macht mir keiner was vor.
Die Sprache verstehen, bedeutet nicht nur Menschen im Wortsinn zu verstehen, sondern sie öffnet eine neue Welt zu ihrem Denken und Sein, zu ihrer Geschichte und Gegenwart, zu ihren Traditionen, Träumen und Wünschen.
Nun ist das Russische ziemlich verpönt, und diese Idiotie von Völkerhass geht sogar so weit, dass Puschkins Name von Bibliotheken, Straßen und Plätzen getilgt wird. Des Nationaldichters Russlands, Streiter für Freiheit und gegen Sklaverei, dem Goethe größte Hochachtung entgegen brachte. Solche dümmlichen, beschränkten nationalistischen Machenschaften wie die "Bedrohungslüge" sprechen weder für Intelligenz noch für Weltoffenheit und Völkerverständigung, wie sie die Präambel unseres Grundgesetzes fordert. Nach tausend Jahren gegenseitig normaler, ja fruchtbarer Beziehungen bis 1914 zwischen unseren Ländern wird nun der Graben zwischen Russland und Deutschland noch tiefer. Der für die internationalen Beziehungen berufende künftige Außenminister Wadephul hat nie ein russisches Buch gelesen, denn Russland ist unser Feind und wird es immer bleiben, sagte der Oberstleutnant der Reserve im Februar 2025 in einem 20minütigen getürkten Telefonat, als er von den russischen Komikern Wowan und Lexus angerufen wurde, die vorgaben, Mitarbeiter des ukrainischen Präsidenten zu sein. Nie hätte ich gedacht, Frau Baerbock einmal zu vermissen.
Ich werde als aufgeklärter Europäer natürlich russisch lesen, sprechen, verstehen und versuchen, sogar zu denken, wenn ich meine Bücher über ein Land schreibe, dessen Kultur, Kunst und Wissenschaft die Welt fruchtbringend bereichert hat, natürlich sachlich, kritisch und optimistisch wie immer.
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