Was nutzt uns auf der Erde die Erforschung des Weltraums?

Na klar, es werden Jahr für Jahr Milliarden für die Weltraumforschung ausgegeben, andere sagen verpulvert, was angesichts des Bildes der explosiven Startfeuerwolken von Raketen ja auch nicht verkehrt ist. Am 20. Juli wird international der Tag der Weltraumforschung gefeiert, eine Erinnerung an die Mondlandung von Apollo 11 im Jahr 1969. Nun, dass da oben nicht nur hehre Ziele im Wettlauf um die erste Mondlandung im Kalten Krieg eine Rolle spielten, lass ich jetzt einmal weg. Auch dass amerikanische Bergbaukonzerne nicht nur ein Auge auf die Bodenschätze unseres Erdtrabanten geworfen haben. Anders sieht es schon aus, dass der Mond eine gute Startposition für interplanetarische Flüge bieten kann.
Meine Bekanntschaft mit der Weltraumforschung begann ganz prosaisch auf der Erde, im damals noch ziemlich geheimnisvollen Sternenstädtchen bei Moskau, Звёздный Городок, eher einem geschlossenen Militärstandort bei der Kleinstadt Schtscholkowo, wo meine Dolmetscherin Tatjana hin und wieder Fachliteratur übersetzte. 
Звёздный Городок - Kosmonauten-Ausbildungszentrum "Juri Gagarin"

Es ist sozusagen das universitäre Ausbildungszentrum der sowjetischen, russischen Kosmonauten und nun auch internationaler Astronauten und Taikonauten. Ja, und inzwischen sogar nicht mehr geschlossen und geheimnisvoll, sondern sogar eine Touristenattraktion. Damals war ich wohl einer der ersten ausländischen Journalisten, die das Allerheiligste der sowjetischen Raumfahrt betraten. 
Bei diesem nicht ganz legalen Stippvisite im Sommer 1976 trafen wir auf einen freundlichen Oberst, der uns grüßte und meine Begleiterin raunte ehrfurchtsvoll. "Dr. Walerij Bykowski, Held der Sowjetunion". Sieh einmal an, das war also der Mann, der schon im Juni 63, als ich noch in Leipzig studierte, mit Wostok 5 den längsten Alleinflug im All absolvierte. Ein Held und doch kein Riese von Wuchs, wie ich feststellte. Dass sich unsere Begegnungen häuften und schließlich zur Freundschaft wurde, das lag noch in weiter Ferne. Ich konnte damals auch nicht ahnen, dass er eineinhalb Monate später, im September 1976 mit Sojus 22 wieder die Erde umrunden würde. Und dabei kam erstmals die Multispektralkamera MKF-6 aus dem VEB Carl-Zeiss Jena zum Einsatz. Sie diente, und war so von unschätzbarem Nutzen,  zur Fernerkundung der Erde. 

Sowjetische Briefmarke von Sojus 22 mit Walerij Bykowski im Vordergrund und der symbolischen Multispektralkamera

    Mit der MKF 6 konnten Geländestreifen von etwa 225 km Breite und 155 km Länge (bei einer angenommenen Flughöhe von 350 km) und einer Auflösung von etwa 10–20 m (im sichtbaren Bereich) erfasst werden. Das Projekt MKF 6 war für viele Forschungsinstitute und Institutionen der DDR und für das  interkosmos-Programm der RGW-Staaten ein wichtiger Schritt zur kosmischen und luftgestützten Fernerkundung der Erdoberfläche. Die entstandenen Kamerabilder wurden genutzt zur Suche nach Bodenschätzen, zur Beurteilung land- und forstwirtschaftlicher Kulturen und Flächen, sogar zur Bestimmung des Erntezeitpunktes, zur Kartografie, zum Beurteilen von Wasser- und Bodenqualität, natürlich auch für militärische Aufklärung, zur Umweltforschung, und für meteorologische Aussagen zur Wetterforschung. Die Ergebnisse und Erfahrungen mit der MKF 6 flossen nicht nur während der Zeit der DDR, sondern auch noch lange danach in die Entwicklung von Geräten, in Forschungen und Datenauswertungen für weitere internationale Missionen ein.
    Aber bevor ich von weiteren Begegnungen mit Walerij Bykowski erzähle, zunächst zum ganz praktischen Nutzen der Weltraumforschung für Otto Normalverbraucher. Weil im All es nun einmal keine Steckdosen gibt, wurde der Akkubohrer entwickelt, ohne den heute kein Heim- oder Handwerker mehr auskommt. Auch die Digitalkamera verdanken wir den Technikern für Weltraumflüge. Wichtig ist für viele Menschen mir kardiologischen Krankheiten ein Herzschrittmacher. Seine winzigen Ausmaße basieren auf die Verbesserung und Miniaturisierung elektronischer Geräte für den Weltraumflug, effektiver und kleiner. Selbst flexible, leichte und dehnbare  Brillengestelle fanden zuerst ihre Anwendung für die Schwerelosigkeit.
    Memory-Schaum passt sich unserem Körper genau an, was ihn vor allem bei Kissen zu einem beliebten Material macht. Ursprünglich entwickelt, um den Druck auf Astronauten während des Starts zu reduzieren, sorgt er heute für einen erholsamen Schlaf. Der Klettverschluss ist zwar nicht eine Erfindung für die Raumfahrt, doch erst als er im All seine sichere Eigenschaft an Raumanzügen bewies, fand sein Siegeszug auf der Erde statt und ist nicht mehr weg zu denken, ob an Schuhen, beim Blutdruckmessen oder auf Babywindeln. Und ein letztes Beispiel. In den modernen PKW befindet sich eine Notruftaste, denn wenn etwas passiert, werden wir schnell gefunden, dank GPS. Das Global Positioning System ist Symbol dafür, wie die Raumfahrt unseren Alltag prägt. Sowohl an funktionierendes Navi als auch Smartphon ist ohne GPS aus dem Orbit nicht zu denken.
    Im August 1978 traf ich Bykowski wieder, als er mit Sigmund Jähn, dem ersten Deutschen im All, nach ihrem gemeinsamen Flug mit Sojus 31 in Berlin die ihnen gebührenden Ehren entgegen nahmen. Weil ich das Russische leidlich beherrschte, durfte ich mit Bykowski und Jähn ein Interview führen und der deutsche Kosmonaut machte sich einen Spaß daraus, mir auch auf russisch zu antworten. Aber damit war die Geschichte meiner Bekanntschaft mit Walerij Bykowski noch nicht zu Ende. Bei meinem Studium in Moskau wurde uns 1980 ein Besuch des Sternenstädtchens angeboten. Bykowski bereitete sich gerade als Ersatzmann für einen Flug mit Sojus 37 im Sternenstädtchen vor und war noch nicht nach Baikonur, dem Weltraumhafen abgereist. 

    Dr. Oberst Walerij Bykowski und ich im Sternenstädtchen bei Moskau 1980
    Ich machte ihn ausfindig und wir trafen uns in der Stolowaja, die nichts gemein hatte mit unserer bescheidenen Kantine im Internat, sondern vom Angebot ein beachtliches Restaurant war. Und wie froh war ich, dass er sich an mich erinnerte und einige Schnurren seiner Aufenthalte im im erdnahen Raum erzählte. Eine ist mir besonders in Erinnerung. "Obwohl", wie er sagte, "für jeden von uns die Sessel extra angefertigt und gepolstert waren, glich eine sogenannte weiche Landung, so, als hätte dir jemand mit dem flachen Spaten kräftig auf deinen nackten Rücken geschlagen." Er hatte nur Zeit für einen Tee und sagte: "Vielleicht sehen wir uns wieder, denn du läufst mir ja immer über den Weg." Und tatsächlich, als er in Ehren als Kosmonaut verabschiedet war, wurde er Direktor des Hauses der sowjetischen Wissenschaft und Kultur in Berlin. Ich stand dort der Freundschaftsgesellschaft vor und wir, wir wurden schließlich gute Freunde, obwohl wir noch nicht ein Pud Salz zusammen gegessen hatten, wie es so in Russland heißt.
    Er gehörte zu der Art von Männern, die in des Wortes wahrster Bedeutung die Sterne fest im Blick haben, aber trotz aller Ehrungen und Erfolge mit beiden Beinen auf der Erde stehen. Diese Freundschaft mit dem klugen, hoch gebildeten einfachen und offenen Menschen, dem Ehrenbürger Berlins ist ein bedeutender Abschnitt meines Lebens, ein Russe, wie er im Buche stand, und mir gefiel auch sein Herangehen an die Dinge, wie ich auch, sachlich, kritisch und optimistisch.
    Fotos: Autor, Archiv Moreike
    P.S. Mein Blog hat vor einigen Tagen die 44.444-Leser-Marke überschritten. Danke für das Interesse.

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