Als ich begriff, was Kunst ist
Weil in der Gemeindevertretung am Montag das hochinteressante Projekt Rechenzentrum Eiche verschoben wurde, auf das ich mich intensiv vorbereitet hatte, ein anderes Thema:
Reisen heißt für mich immer noch Sehnsucht stillen und mit einem Koffer voller Eindrücke bin ich aus Dresden zurück, wieder einmal. In diesen Tagen des Altweibersommers, der sich im Elbtal von seiner besten Seite zeigte. Die Stadt voller Touristen und natürlich auch Japanern, die die Fassaden von Sachsens Glanz und Gloria fotografierten. Schade, dass ihr Programm nicht den Besuch der Galerie Alter Meister ermöglichte oder einen Schmaus sächsischer Schmankerln im Sophienkeller. Auch eine Elbefahrt flussaufwärts mit der ältesten Raddampferflotte der Welt in die einmalige Landschaft der Sächsischen Schweiz, die von der UNESCO zum Nationalpark ernannt wurde, musste ausfallen, die Elbe hatte nicht genug Tiefgang.
Für mich ist der Besuch der Dresdner Galerie Alter Meister stets ein Muss, denn es ist immer wieder ein Treffen mit liebgewordenen alten Bekannten, die keineswegs stumm sind, sondern eine Menge zu erzählen haben. Immer wieder entdecke ich in Bildern, die ich gut zu kennen glaubte, Neues, Interessantes und nun schon betagt, wecken sie Erinnerungen aus meiner frühen Jugend wenige Jahre nach dem Krieg. Einiges davon habe ich in meinem Buch "Ich Bombenziel - Krieg tötet Liebe" geschrieben und ich erlaube mir, einige Passagen daraus hier bearbeitet widerzugeben:
"Es war ein lausiger November und der Zufall wollte es, dass ich von der Schule eine Einladung zur festlichen Eröffnung einer Ausstellung in der Nationalgalerie bekam. Gezeigt wurden 500 Gemälde der Dresdner Galerie, die auf Betreiben von Nikita Chruschtschow, dem Chef in der UdSSR der DDR und den weltberühmten Sammlungen zurückgegeben wurden. Sie wurden, so wurde in den Reden betont, aus finsteren Stollen im Elbsandsteingebirge von der Roten Armee in einem miserablen Zustand gerettet und in Moskau restauriert. Eigentlich sollten sie als Ersatz für die von den deutschen Faschisten geraubten und vernichteten Kunstwerke in der Sowjetunion verbleiben.
Ich hörte mir die Rede an und dachte, Bilder, schön und gut, kann man sich ja einmal ansehen...Ich sah mir die alten Schinken an. Sie waren alle toll gemalt aber zu viele Heiligenbilder und Engel. Mein sichtbares Desinteresse weckt wohl die Aufmerksamkeit eines Mannes, der etwas mit der Ausstellung zu tun hatte. Er kam zu mir, zerrte mich freundlich auf eine Bank und erklärte mir, warum der Tag so ein besonderer war. Er kam aus Dresden und ich wunderte mich, dass so viele Bilder die Bomben überlebt hatten, denen unsere Familie zum Glück entkommen war.
Der Mann erzählte: „Die Bilder sind bis zu fünfhundert Jahre alt.“ Dafür, so fand ich, waren sie noch ganz gut in Schuss. „August der Starke begann mit der Sammlung von Kunstwerken der italienischen und holländischen Meister. Er wollte, dass sein Hof der glänzendste in Europa war und zudem war er für die damalige Zeit recht kunstsinnig. Höhepunkt war der Erwerb der Sixtinischen Madonna von Raffael.“ Also waren Könige doch zu etwas gut. Der Fremde nahm mich am Ellenbogen und führte mich zu dem Bild. Da stand ich nun und der Mann aus Dresden sagte kein Wort. Ich wusste nicht, wohin ich zuerst schaue sollte. Die Madonna sah freundlich aus und ich dachte, wenn es einen Gott gibt, dann ist es eine Frau und die sieht genau so aus, wie diese Madonna.
Als ich so dastand, beobachtete mich mein Begleiter amüsiert. „Uff, ist sie schön“, sagte ich und staunte, wie ein Maler so etwas früher überhaupt malen konnte. Und dann entdeckte ich etwas, was meinen Dresdner verwunderte. Es waren keine Wolken, die die Madonna umhüllten, sondern viele kleine Engelsköpfe. „Beinahe, Hartmut, wäre diese Madonna vernichtet worden. Im Siebenjährigen Krieg wurde sie auf der Festung Königsstein in Sicherheit gebracht und im Zweiten Weltkrieg hätte sie auch verbrennen können. Am 13. Februar 1945 verbrannten 154 Gemälde, als der Lastwagen, auf den sie gerade geladen worden waren, von einer Bombe getroffen wurde. Weitere 42 Gemälde, alles Großformate, verbrannten am gleichen Tag im Residenzschloss. Die Madonna aber, war zum Glück wohlverpackt in einen Eisenbahntunnel bei Großcotta. Das wusste natürlich niemand. Manche dachten, sie wäre auf Schloss Weesenstein, wie viele Bilder der Galerie oder auf der Albrechtsburg in Meißen. Jedenfalls hat sie ein Unterleutnant der Roten Armee, ich glaube er hieß Rabinowitsch und war beauftragt von der Trophäenkommission der Roten Armee mit der Suche nach Kunstschätzen, entdeckt und zum Schloss Pirna geschleppt. Und dort war sie noch einmal in großer Gefahr, denn die Soldaten feierten ausgiebig den Sieg und soffen die Sektvorräte aus dem Schlosskeller leer. Und weil sie Atheisten waren, ihr Lenin sagte, dass Religion nur Opium für das Volk war, wollten sie so manchem Heiligen ein Loch in den Kopf schießen oder erdolchten Fürsten und Könige mit ihren Bajonetten.
Außerdem waren andere durch die unsachgemäße Lagerung in einem feuchten Stollen eines Kalksteinbruchs in einem miserablen Zustand. Die Rahmen und Malgründe hatten sich mit Wasser vollgesogen, auf einigen Gemälden drohten die Farben abzubröckeln.
In der feuchten 2. Sohle im Tagebruch des Kalkwerks Lengefeld wurde 1945 ein Teil der ausgelagerten Gemälde in einem erbärmlichen Zustand geborgen
Der Restaurator Tschurakow sammelte feines Zigarettenpapier ein und klebte es mit Fischleim auf die beschädigten Stellen. Zum Glück war die Madonna verpackt und wurde bald nach Moskau verschickt, weil eine fachgerechte Restaurierung auch in Pirna nicht möglich war. Heute ist sie zurückgekehrt, ein wunderbarer Tag, dass ich das noch erleben durfte.“
Dann hat mir noch ein anderes Bild sehr gefallen von dem Holländer Jan Vermeer die „Briefleserin am offenen Fenster“, da staunte ich nicht schlecht, wie genau der Künstler alles gemalt hatte und besonders das Licht und die Schatten. Von wem wird die junge Frau wohl den Brief bekommen haben und was steht da drin? Ich verstand ja nicht viel von Malerei, aber dennoch war ich sehr beeindruckt, denn so etwas Schönes hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen und freute mich, dass Nikita Chruschtschow nicht nur etwas von Mais verstand, sondern auch von Kunst, weil er die Bilder zurückschickte...
Und dann sah ich ein Gemälde, das mich in tiefe Verwirrung stürzte.
Eine nackte Frau lag in einer Landschaft und ich traute mich kaum, richtig hinzusehen, denn gerade vor diesem Bild standen in einigem Abstand ältere Damen und sahen griesgrämig auf das Gemälde. Ich schielte hinüber und hörte so etwas wie schamlos und dass der Maler sich schämen sollte, so etwas zu malen. Da wartete ich lieber in einer Ecke, bis sie unter lebhaftem Schnattern in den nächsten Saal gingen. Ich ging näher und las den Begleittext "Schlummernde Venus von Giorgione". Da kamen weitere Besucher und es war mir unangenehm, ja peinlich, so nah an dem Bild erwischt zu werden. Ich bekam einen roten Kopf und mein Herz schlug schneller. Schließlich hatte ich noch nie so eine schöne nackte Frau gesehen. Eigentlich hatte ich überhaupt noch nie eine nackte Frau, ja nicht einmal ein nacktes Mädchen gesehen. Aber obwohl ich so ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend hatte, musste ich immer wieder auf das Bild schielen. Aber warum schämte ich mich eigentlich, die Frau auf dem Bild war doch nackt und nicht ich, komisch...Aber warum war es mir peinlich auf das Bild zu schauen, schließlich würde ich bald vierzehn und waren nicht Adam und Eva auch nackt. Und die Venus war zwar eine nackte Schönheit, aber dennoch schien sie unberührbar und göttlich, ja das war das richtige Wort.
Die Ausstellung hatte mich so begeistert, dass ich eigentlich mit niemanden darüber reden konnte, welche Gefühle mich vor diesen Bildern ergriffen, die über Jahrhunderte die Menschen in ihren Bann zogen. Es war Staunen, Achtung, Ergriffenheit und die Erkenntnis, wie klein und unbedeutend ich war. Durch diese Bilder, die Gemälde hießen, begriff ich, was Kunst ist. Und so beschloss ich kühn in der lyrischen Unbedarftheit als Heranwachsender, nicht mehr Förster, sondern entweder ein großer Poet oder noch besser, ein viel beachteter Maler zu werden, weil mich die Kunst so berührt hatte."
Nun ich bin weder das Eine noch das Andere geworden, auch wenn ich ein paar Lyrikbände herausgegeben habe. Aber das ist eine andere Geschichte, die nichts mit Ahrensfelde zu tun hat, dem ich engagiert verbunden bin, sachlich, kritisch und optimistisch wie immer.
Fotos: Autor (4) Archiv (1)
P.S. Das ist Werbung für mein Buch? Auch, aber vor allem für Dresden und die Kunst und wie es wirklich war, 1945 und 1955 und das wird doch wohl noch erlaubt sein.
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