
Heute ist ein Feiertag, der mir besonders am Herzen liegt. Jedes
zweite Wochenende im September wird der Tag der deutschen Sprache gefeiert. Ich will heute nicht darüber sprechen, wie
sie verhunzt wird, von Politikern und Medien, nein, ich will heute ein Loblied
auf die Schönheit und Vielfalt der Sprache singen, die in vielen Ländern
Europas und weit darüber hinaus gesprochen wird. Nun singen ist schon wieder so eine Sache mit der Sprache, denn singen will ich ganz bestimmt nicht. Aber es heißt eben so. Unsere deutsche Sprache hat vielerorts einen schlechten Ruf, weil sie genau und logisch, aber
auch schwerfällig zu sein scheint, sogar hart im Klang. Mark Twains bekanntestes Zitat zur deutschen Sprache stammt aus seinem Essay "Die schreckliche deutsche Sprache" und lautet sinngemäß: "Wenn sie so bleibt, wie sie ist, sollte man sie sanft und ehrfürchtig zu den toten Sprachen stellen, denn nur die Toten haben die Zeit, diese Sprache zu lernen". Er kritisierte humorvoll die Grammatik, die Komplexität und die fehlende Systematik der deutschen Sprache, was ihn beim Erlernen frustrierte. Auch wenn es anders scheint, war es eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache, die er lernte, stets vervollkommnete und recht gut beherrschte.

Nein und dreimal Nein: Deutsch ist eine schöne Sprache! Gut, auch deftig und direkt, aber sie lädt zu auch feinsten Nuancen ein; sie ist
klangvoll, klar und anschaulich, kann aber auch anmutig und elegant sein, ja
sogar voller Witz. Und manchmal auch ungewollt wie bei Hackepeter, Blindgänger oder Handschuh. Aber vor dem Beweis einige Fakten: 100 Millionen Muttersprachler sprechen Deutsch und können 23
000 000 Wörter benutzen, wobei die Dudenredaktion nur die Grundformen
zählt. Goethe soll 90 000 Wörter benutzt haben und manche Jugendliche heute genügen ein paar Hundert. Das ist bedauerlich, denn die Grenzen der Sprache bedeuten auch die Grenzen einer Welt, sagte Ludwig Wittgenstein. Worte sind doch mehr als nur eine Reihe von Buchstaben - sie sind pure Emotion, Geschichte und Kultur. Dass in der Sprache ein weibliches Übergewicht herrscht, hat wenig mit Feminismus zu tun. 46 % der Substantive haben das grammatisch weibliche
Geschlecht, 34 % das männliche und 20 % sind sächlichen Geschlechts. Jedoch
ist Mann das
häufigste Wort in Romanen, dem die
Frau folgt. Mann oh, man!
Ja, zugegeben, die deutsche Sprache ist bekannt für lange und komplizierte Worte. Aber manchmal führt das einfach zu weit. Dass die Politik mit Abstand der größte Sprachverhunzer ist, zeigt das Beispiel des längsten Wortes: Rindfleischetikettierungsüberwachungaufgabenübertragungsgesetz. Ach ja, wieviel Papier könnte gespart werden, wieviel Bäume überleben. Übrigens, der
meist benutzte Buchstabe ist E, der
seltenste Q. Emilie empfiehlt einem einsamen Eskimo, ein echt erfrischendes Erdbeereis.
Ich habe die deutsche Sprache studiert, und es hat mir unsäglichen Spaß gemacht. Ja, zum Teufel, ich beherrsche die deutsche Sprache nicht, ich liebe sie. Deshalb
vergleiche ich sie auch gern mit einer Geliebten, die immer wieder umworben und verführt sein will. Und deshalb vergeht kein Tag, ohne
dass ich schreibend mich um die deutsche Sprache bemühe. Übrigens gibt es in unserer Sprache so liebenswerte Begriffe, die einfach nicht zu übersetzen sind und einfach übernommen werden, wie unser Kindergarten. Aber wie soll ein Dolmetscher unsere einzigartigen Begriffe wie Innerer Schweinehund, Fernweh oder Kummerspeck korrekt übersetzen, ohne in Schweißströmen auszubrechen? Alljährlich werden die schönsten deutschen Begriffe von einem selbsternannten Sprachrat gekürt und die waren Augenweide 2023 und Habseligkeiten 2024. Aber ich finde Kuddelmuddel auch gut. Ja, unsere Sprache ist eine Wunderwelt. Nun der Beweis für die einzigarte Schönheit unsere Muttersprache:
Johann Wolfgang von Goethe
Neue Liebe, neues Leben
Herz, mein Herz, was soll das geben?
Was bedränget dich so sehr?
Welch ein fremdes, neues Leben!
Ich erkenne dich nicht mehr.
Weg ist alles was du liebtest,
Weg, warum du dich betrübtest,
Weg dein Fleiß und deine Ruh –
Ach, wie kamst du nur dazu!
Fesselt dich die Jugendblüte,
Diese liebliche Gestalt,
Dieser Blick voll Treu und Güte
Mit unendlicher Gewalt?
Will ich rasch mich ihr entziehen,
Mich ermannen, ihr entfliehen,
Führet mich im Augenblick,
Ach, mein Weg zu ihr zurück.
Und an diesem Zauberfädchen,
Das sich nicht zerreißen lässt,
Hält das liebe lose Mädchen
Mich so wider Willen fest;
Muss in ihrem Zauberkreise
Leben nun auf ihre Weise.
Die Veränderung, ach, wie groß!
Liebe! Liebe! Lass mich los!
Heinrich Heine
Leise zieht durch mein Gemüt
Leise zieht durch mein Gemüt
liebliches Geläute.
Klinge, kleines Frühlingslied,
kling hinaus ins Weite.
Kling hinaus, bis an das Haus,
wo die Blumen sprießen.
Wenn du eine Rose schaust,
sag, ich lass sie grüßen.
Friederike Brun
Ich denke Dein
Ich denke dein, wenn sich im Blütenregen
Der Frühling malt;
Und wenn des Sommers mild gereifter Segen
in Ähren strahlt.
Ich denke dein, wenn sich das Weltmeer tönend
Gen Himmel hebt,
Und vor der wogen Wut das Ufer stöhnend
Zurückebebt.
Dein denk' ich, wenn der junge Tag sich golden
Der See enthebt,
An neugebornen zarten Blumendolden
der Frühtau schwebt.
Ich denke dein, wenn sich der Abend rötend
im Hain verliert,
Und Philomelens Klage leise flötend
Die Seele rührt.
Dein denk' ich, wenn im bunten Blätterkranze
Der Herbst uns grüsst;
Dein, wenn, in seines Schneegewandes Glanze,
Das Jahr sich schliesst.
Mehr ist zu diesem Thema wohl nicht zu schreiben. Erheben wir das Glas mit einem urdeutschen "Kröver Nacktarsch" und feiern, lernen und sprechen wir unsere Muttersprache wie ich jeden Tag, sachlich, kritisch und optimistisch wie immer.
Foto: Autor, Cartoon Archiv, Porträt-Zeichnungen Hartmut Moreike